Deutsch (Deutschland)

Ganassi - Kynsecker - Bressan - Denner 

Bauliche Unterschiede und ihre Auswirkungen auf die musikalische Praxis

Vortrag beim Erta-Symposium Karlsruhe 1994           

1 Grundsätzliches zur Flötenakustik

Ziel dieser Betrachtungen soll sein, Blockflöten in ihren verschiedenen Bauweisen einmal von der baulichen und konstruktiven Seite her zu betrachten und zu untersuchen, wie sich bauliche Unterschiede auf die musikalischen Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten des Instruments auswirken. 

1.1 Verhältnis Bohrungsgestaltung zu Klangbild

Wir untersuchen hierzu einmal verschiedene klangbestimmende Faktoren beim Instrument. An erster Stelle stehen die verschiedenen Ausformungen der Innenbohrung. Hier sind die Unterschiede z. B. zwischen einer Renaissance-Flöte in Ganassi-Bauweise an deutlichsten.           

Aus dem Physikunterricht oder der Beschäftigung mit dem Orgelbau kennt man den Unterschied zwischen offenen und gedackten Pfeifen. Man weiß, dass eine gedackte Pfeife bei gleicher Frequenz nur halb so lang ist wie eine   entsprechende offene Pfeife. Auch die Klangfarbe der Töne ist unterschiedlich. Wir wissen ja, dass sich der Klang eines Instrumententons zusammensetzt aus verschiedenen Teiltönen. Auf den Grundton als erstem Teilton folgt die Oktave als zweiter, hierauf die Quinte dazu (bzw. die Duodezim zum Grundton) als dritter, als vierter die Doppeloktave, als fünfter eine Terz, hierauf als sechster wieder eine Quinte auf die Doppeloktave und so weiter.

Wir erinnern uns, dass sich die Klänge offener Pfeifen aus allen Teiltönen zusammensetzen, die Klänge gedackter Pfeifen lediglich aus den ungeradzahligen Teiltönen, also Grundton, Quinte über der Oktave, Terz über der   Doppeloktave usw. Diese nasal erscheinenden Klänge bezeichnen wir auch als  "gedacktes Klangbild".

Gedackte Pfeifen unterscheiden sich auch in ihrem Überblasverhalten von den offenen, sie lassen sich nur in ungeradzahlige   Teiltöne überblasen. Typischer Vertreter ist die Klarinette, die nicht oktavieren kann, sondern sofort in die Duodezim überbläst. Ein Zwischending sind nun Pfeifen, die nach unten mehr oder weniger stark verengt sind. Bei ihnen werden zwar die geradzahligen Teiltöne nicht ganz unterdrückt, sie sind aber gegenüber den ungeradzahligen deutlich abgeschwächt, so dass derartige Pfeifen auch zu einem nasalen, eben "gedackten" Klangbild neigen, auch wenn es in aller Regel noch problemlos möglich ist, sie in weiten Bereichen in die Oktave   zu überblasen.

Eine weitere Rolle spielt die Bohrungsweite in Relation zur Bohrungslänge. Je enger die Bohrung ist, desto stärker ausgeprägt sind die höheren Teiltöne, desto leichter kann das Instrument auch überblasen werden. Im   Extremfall wird der Klang scharf und tiefe Töne sprechen nur noch schwer an, da das Instrument stark zum Überblasen neigt.

Im Gegensatz dazu steht ein Instrument mit relativ weiter Bohrung. Es hat, durch sein großes Luftvolumen, einen großen, eher obertonarmen Klang und dabei unter Umständen eher Probleme, in höhere Teiltöne zu überblasen.

1.2 Sonstige klangbestimmende Konstruktionsmerkmale

Natürlich spielen noch einige andere Baufaktoren eine große Rolle für den Klang einer Blockflöte.           

Da ist zunächst die Gestaltung des Aufschnitts. Generell kann man sagen, dass je größer der Aufschnitt ist, der Klang umso lauter und direkter wird.

Dies gilt vor allem in Relation zur Bohrungsweite. Am deutlichsten wird das, wenn man die Extreme betrachtet. So ergibt eine weite Bohrung mit einem kleinen Aufschnitt zusammen einen dunklen, intimen Klang, während eine enge Bohrung, zusammen mit großem Aufschnitt, scharfe Instrumente mit schneller, nervöser Ansprache ergibt.

Deutliche Unterschiede gibt es auch noch bei der Neigung des Windkanals in Vergleich zur Instrumentenachse. Generell gilt, dass weitere Innenbohrungen stärker angeregt werden müssen als eher enge, so dass sie in der   Konsequenz bei Renaissance-Instrumenten fast durchweg leicht zum Inneren hin geneigt sind, während sie bei den meist enger gebohrten Barock-Instrumenten meist flach oder sogar leicht nach außen geneigt sind.

 


2 Ganassi-Flöte

Betrachten wir zunächst einen in der Bauweise eher extremen Vertreter, die Ganassi-Flöte. Was ist das eigentlich?           

2.1 Geschichtliches zur Ganassi-Flöte

Die Quellenlage zu diesen Instrumenten ist eher mager. Der Name geht zurück auf Sylvestro Ganassis 1535 in Venedig veröffentlichtes Lehrbuch der Flötenkunst und des Diminuierens "La Fontegara". In diesem beschreibt er eine Reihe von Griffen, mit denen sich auf verschiedenen damals gebräuchlichen Flöten Griffe weit über die damals gebräuchlichen gut eineinhalb Oktaven hinaus spielen ließen. Er bezeichnete sie als seine ureigenste Entdeckung, was dahingestellt sein mag.           

Jedenfalls funktionieren auf vielen Instrumenten aus dieser Zeit einige dieser Griffe, auf fast keinem jedoch alle, vor allem nicht Griffe, die sehr stark Gebrauch machen vom Überblasen in Oktaven in höheren Lagen oder in   Doppeloktaven. Vor allem auf stärker konisch gebohrten Instrumenten (auch die meisten Blockflöten der Renaissance waren nach unten hin verengt) waren solche Griffe aus den oben erwähnten Gründen praktisch nicht anwendbar.

Es gibt lediglich ein erhaltenes Instrument, eine Altblockflöte im Kunsthistorischen Museum Wien, die ihrer Bauweise nach mit den Griffen Ganassis weit über 2 Oktaven hinaus spielbar gewesen sein muss. Dieses Instrument ist wegen eines Risses praktisch nicht mehr spielbar, Rekonstruktionen von Fred Morgan und anderen haben jedoch ergeben, dass diese Bauweise wohl den Typ der "Ganassi-Flöte" darstellen könnte. Die meisten heutigen Instrumente dieses  Typs gehen auf diese Rekonstruktionen zurück. Misst man ihre heutige Verbreitung  an der Zahl der überlieferten Instrumente, kann man durchaus von einem eigenständigen Instrumententypus ohne ausdrückliche historische Tradition sprechen, so wie sich ja auch in der heutigen Spielpraxis, bei allem Bemühen um historische Authentizität, sicherlich viel von derjenigen früherer Zeiten unterscheidet.

2.2 Bau-Charakteristika

Worin bestehen nun die baulichen Besonderheiten der Ganassi-Flöte?           

Auffallend ist zunächst die praktisch vollkommen zylindrische Bohrung des Instruments, mit einer kräftigen trichterartigen Erweiterung am unteren Ende. Dies steht im Gegensatz zu der Bauweise fast aller anderen   Blockflötentypen.

diag ga          

Bohrungsdiagramm Ganassi-Flöte           

Hinzu kommt noch der vergleichsweise große Aufschnitt, der dazu führt, dass es sich in der Regel um ausgesprochen laute Instrumente handelt.           

Der Trichter am unteren Ende hat nicht nur klangliche Hintergründe. Er gleicht vor allem die Stimmung des Instruments im Bereich des dritten Registers aus. So führt er dazu, dass der so typische Griff für die   Doppeloktave (alle Finger geschlossen, nur Daumenloch und beide Ringfinger leicht geöffnet) auch eine stimmende Doppeloktave ergibt.

Man kennt diesen Griff ja auch von Barockflöten her. Hier stellt er den (meist missglückten) Versuch dar, auf einer Altflöte ein hohes fis zu spielen, also den Ton einen Halbton über der Doppeloktave. Dieser Griff ist fast immer deutlich zu hoch. Der "Ganassi-Trichter" senkt nun diesen Ton soweit ab, dass man im Endeffekt eine meist gut stimmende Doppeloktave erhält, und das bei einer klanglichen Qualität und Brillanz, die sonst bei allen Instrumenten auch aus späterer Zeit mit anderen Griffen undenkbar ist.

2.3 Klangliches Resultat

Diese Bauweise und entsprechend die Klangfarbe dieser Instrumente hat nun gar nichts Gedacktes mehr an sich. Charakteristisch für das Klangbild ist ja auch der ausgesprochen offene, strahlende Ton. Dies gilt auch für die   Töne des dritten Registers, die aufgrund der einfachen Uberblaseigenschaften auch akustisch meist einfach abgeleitet sind, oft als direkte Teiltöne des Grundtons.           

2.4 Unterschiede zur Consort-Flöte

Groß sind auch die Unterschiede zu den in der damaligen Zeit am meisten verbreiteten Instrumenten, den Consort-Blockflöten. Diese waren fast durchweg von relativ weiter Bohrung, nach unten verengt und mit eher schmalen Aufschnitten. Die Klänge dieser Blockflöten sind ja bekannt als eher intim, dunkel und gut miteinander verschmelzend.           

2.5 Verwendung in der musikalischen Praxis

Ihr Einsatzgebiet findet die Ganassi-Flöte eher im solistischen Bereich, sie neigt ja ausgesprochen zur Dominanz und kann sich so auch gut gegen andere Blasinstrumente durchsetzen.           

Ihr großer Tonumfang macht sie geeignet etwa für die italienische Violinliteratur des 16.-17. Jahrhunderts sowie allgemein für brillante, virtuose Diminuitionsliteratur. Auch in der zeitgenössischen Musik werden derartige   Instrumente häufig eingesetzt. Ihre Verwendbarkeit ist sehr breit gefächert -   wer will, mag auch gerne Van Eyck darauf spielen. Das mag "unhistorisch" sein.  Aber was ist an diesem Instrument überhaupt "historisch korrekt"?


3 Frühbarock-Flöte

Im Titel war als nächstes der Name "Kynsecker" aufgeführt, ein Vertreter des frühbarocken Blockflötenbaus.           

3.1 Was ist die Frühbarock-Flöte?

Die Frage, was die typische Blockflöte des Frühbarock sei, ist schwer zu beantworten. Es war eine Übergangszeit, und die erhaltenen Instrumente sind von recht unterschiedlicher Bauweise. Wir sind bei der Betrachtung auf   relativ wenige Instrumente und schriftliche Quellen angewiesen, bei denen sich jedoch einige Charakteristika herauskristallisieren. Betrachten wir einfach zwei wichtige Quellen:           

Mit die bekanntesten Instrumente aus dieser Epoche sind ein Satz von je 2 Sopran-, Alt- und Tenorflöten und einem Bass von Hieronymus Franz Kynsecker aus Nürnberg, die heute dort im Germanischen Nationalmuseum lagern. Diese sind zwar erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden, doch ihre ausgesprochen konservative Bauweise weist deutlich 50 Jahre in die Vergangenheit zurück.

Ohne Zweifel war Kynsecker nicht der allergrößte seiner Zunft, seine Instrumente sind vor allem bedeutsam wegen ihres relativ guten Erhaltungszustands und ihrer eigenwilligen Formgebung mit dem charakteristischen   Wellennprofil an den Kopfstücken. Ihre klangliche und Stimmungsqualität ist wohl bestenfalls als mäßig zu betrachten, so dass sie mehr ein interessantes Studienmaterial als ein lohnendes Vorbild für die Rekonstruktion darstellen.

Eine interessante schriftliche Quelle stellt Jacob van Eycks  "Fluyten-Lusthof" dar, in dem der Autor zu Beginn eine kurze Spielanleitung  für die damals gebräuchliche "Hand-Fluyt" mitliefert, in der er im wesentlichen die heute gebräuchliche barocke Griffweise beschreibt, abgesehen von den anderen Griffen für die Quarte, die wir inzwischen als "historische" Griffweise bezeichnen.

Diese Griffe, vor allem die uns heute vertrauten für das dritte Register, sind auf den erhaltenen Instrumenten aus dieser Zeit fast durchweg anwendbar.

3.2 Bau-Charakteristika

Baulich betrachtet, stellen die Instrumente aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts durchweg eine Weiterentwicklung des  "klassischen" Renaissanceflöten-Typus dar, mit einer deutlichen Verengung der    Innenbohrung am unteren Ende, die ansonsten oft nahezu zylindrisch oder nur sehr schwach umgekehrt konisch verläuft. Die Bohrungen sind insgesamt jedoch meist deutlich enger als bei den alten Consort-Flöten. Auch die Aufschnitte sind etwas weiter geworden.        

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Bohrungsdiagramm Frühbarock-Flöte           

3.3 Klangliches Resultat

Das Klangbild dieser Instrumente ist gegenüber früher deutlich obertonreicher und "solistischer" geworden, der typische Barock-Klang mit seiner näselnden Ausprägung deutet sich schon leicht an.           

Meist sind die Instrumente jedoch deutlich noch mischungsfähig, wurden wohl auch oft noch im Consort gespielt, wie auch Kynseckers Satz vermuten lässt.

 


4 Spätbarock-Flöte

Einen deutlichen Wandel erfuhr das Instrument zu Ende des 17. Jahrhunderts. Die Entwicklung hatte wohl ihre Wurzeln in Frankreich und wurde dann von Instrumentenbauern nach ganz Europa "exportiert".           

So brachte etwa P. Bressan diesen neu entwickelten Typus der hochbarocken Blockflöte nach England, während J. Chr. Denner nach seinen Studien in Frankreich die neuen Entwicklungen in Nürnberg heimisch machte.

4.1 Ziele der Entwicklung

Charakteristisch für die neuen Entwicklungen war vor allem die Entwicklung der Blockflöte vom musikalischen Handwerkszeug zum Kunst-Instrument, schon äußerlich sichtbar an den oft aufwendig verzierten Teilen, bei denen zunehmend oft seltene und edle Materialien wie Elfenbein zur Verwendung kamen.           

Die Klangvorstellungen wandelten sich ebenfalls; gefragt war zunehmend ein eleganter, was heißen soll: nasaler Ton mit ausgesprochen solistischer Ausprägung und vor allem Spielsicherheit auch in den hohen Lagen.

4.2 Bauliche Unterschiede zur Frühbarock-Flöte

Dies schlägt sich nieder in einer ganzen Reihe konstruktiver Änderungen. Die Bohrungsverengung zum unteren Ende hin ist deutlich stärker und beginnt weiter oben als bei den frühbarocken Instrumenten. Damit zusammenhängend werden auch die Tonlöcher kleiner. Die Windkanäle werden zunehmend enger und im   Verlauf flacher.           

4.3 Klangliche Konsequenzen der Entwicklung

Das führt im Klangbild der Instrumente zu starken Veränderungen:  Es wirkt immer stärker gedackt und auch obertöniger, dem Ideal der Zeit entsprechend. Ausgesprochen solistisch ausgeprägt, ist es auch kaum mehr   mischungsfähig, Barockflöten sind ausgesprochene "Solisten". Dem steht durchaus nicht entgegen, dass die Tendenz wieder zu etwas leiseren, intimeren Klängen geht.           

4.4 Verschiedene "Schulen":

Deutlich lassen sich nun verschiedene nationale und regionale Baustile unterscheiden. Interessant ist vor allem etwa der Vergleich zwischen den Instrumenten der Londoner und der Nürnberger Schule, für die stellvertretend   die Namen Bressan und Denner stehen.           

Die typische englische Blockflöte wurde in London vor allem von P. Bressan, der das Instrument von Frankreich mitbrachte, zusammen mit den Bauern der Familie Stanesby entwickelt.

Charakteristisch ist vor allem die im unteren Bereich relativ weite Innenbohrung, die sich auch zum Fußstück hin nur allmählich verengt, so dass auch die Fußbohrung noch relativ weit ist. Die Windkanäle und Aufschnitte sind relativ schmal gehalten, oft mit sehr deutlich fühlbarem Blaswiderstand.

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Bohrungsdiagramm Altflöte von P. Bressan           

Typisch für das Klangbild ist viel "Tiefe" im Ton, der sehr farbenreich und gestaltbar ist. Man denkt hierbei unwillkürlich an den Einfluss der französischen Musik, der hier deutlich durchscheint.

Die hohe Lage auf diesen Instrumenten funktioniert natürlich durchaus, ist aber oft nicht der "stärkste" Bereich, vor allem oft auch im Zusammenhang mit der Intonationsreinheit. Dies erscheint nicht verwunderlich, wenn man englische Musik dieser Zeit betracht, etwa Blockflötensonaten von Händel, in denen die hohen Lagen des dritten Registers sehr selten wirklich gefordert werden. Die ganze Musik ist ausgelegt auf sehr viel klangliche Brillanz und "Würde", genau das richtige etwa für eine Altflöte aus Bressans Werkstatt.

Eine etwas andere Entwicklung nahm der Blockflötenbau in damals im zu dieser Zeit bedeutendsten deutschen Holzblasinstrumentenbau-Zentrum, in Nürnberg. Dort war, sicherlich auch durch intensive Handelskontakte nach Süden, deutlich ein italienischer Einfluss im Blasinstrumentenbau spürbar. So bildete sich hier ein süddeutscher Blockflötentypus heraus, der auch stark vom italienischen Geschmack geprägt war.           

Verglichen vor allem mit den englischen Instrumenten der Zeit, wiesen sie vor allem im unteren Bereich deutlich engere Innenbohrungen auf; die obere Bohrungshälfte wies vergleichsweise geringe Unterschiede auf, die dann vor allem intonationsbedingt waren. Vor allem ab dem Tonloch 6 verengt sich bei diesen Instrumenten die Bohrung sehr kräftig, so dass auch die Fußstücke sehr enge Bohrungen aufweisen. Die engsten Stellen können bis zu 1,5 mm enger sein als etwa bei Instrumenten von Bressan.

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Bohrungsdiagramm Altflöte von J. Denner           

Hingegen sind die Windkanäle meist etwas breiter als bei den englischen Instrumenten, Unterschiede von 0,5 mm mögennicht allzu gravierend erscheinen, klanglich haben sie an dieser Stelle sehr deutliche Wirkungen. Die   Windkanäle sind auch meist nicht allzu eng gehalten.

Die klanglichen Ergebnisse sind dann auch ganz andere als bei Bressan. Dennersche Instrumente zeichnen sich vor allem aus durch eine schnelle und direkte Ansprache aller, vor allem aber der hohen Lagen. Die Tiefe klingt meist schlank, aber sonor, der Gestaltungsspielraum ist deutlich enger als bei englischen Flöten.

Die musikalische Bedeutung dieses Blockflötentypus wird sofort deutlich, wenn man die Blockflötenwerke Telemanns betrachtet. Dieser besaß mit großer Wahrscheinlichkeit Instrumente aus der Werkstatt Jacob Denners. Seine Musik setzte instrumente voraus, die in allen Lagen virtuos spielbar sein mussten, mit  "schwachen Lagen" waren sie für seine Musik nicht aufführbar, die Instrumente mussten vor allem wendig und reaktionsschnell  sein.

Einen spielerischen Vergleich zwischen beiden Instrumententypen kann man nicht mit Worten führen, man sollte entsprechende Kopien aus einer guten Werkstatt selbst vergleichen.           

Hierbei ist es allerdings wichtig, Instrumente in gleicher Grundstimmung zu vergleichen, da die Grundstimmung den Charakter eines Instruments über seine Bauweise hinaus stark beeinflusst. Englische Instrumente hatten im Original meist tiefere Stimmtöne (405 - 408 Hz) als die Nürnberger Instrumente (410 - 415 Hz).


5 Welches ist das "originale" Klangbild?

5.1 Frühe Musik (bis Anfang 17. Jh.):

Für die Musik der Renaissance, bis hin zum Anfang des 17. Jahrhunderts, kann man kaum einen bestimmten Flötentypus als das authentische Instrumentarium schlechthin festlegen. Flöten in Ganassi-Bauweise sind sicherlich nicht die Instrumente, die zu dieser Zeit, auch für das diminuierende Spiel in Italien, gängig waren. Von daher ist die Ganassi-Flöte sicherlich in ihrer heutigen Verbreitung nicht "original". Andererseits stellt sie spielerische Möglichkeiten zur Verfügung, die der Musik aus dieser Zeit besonders entgegenkommen und sie daher für die Aufführung gerade geeignet erscheinen lassen.           

Meist war die Literatur dieser Zeit nicht oder nur locker für ganz bestimmte Instrumente konzipiert, so dass es durchaus legitim scheint, einfach dasjenige Instrument zu benutzen, mit dem es "am besten geht".

5.2 Frühbarocke Sololiteratur (z. B. van Eyck):

Für die Literatur des 17. Jahrhunderts wird oft ebenfalls die Ganassi-Flöte gebraucht. Andererseits wären typische Frühbarock-Flöten mit unten verengter Bohrung und ihrem etwas obertönigen, feineren Klangbild der Musik wohl   entsprechender. Gerade auf diesen Instrumenten haben die Töne des höchsten Registers eine Art "Ausnahmecharakter" und klingen wirklich etwas sensationell, Höhepunkte betonend, im Gegensatz zu den Ganassi-Instrumenten, deren hohe Lage viel "selbstverständlicher" und dominanter erscheint.           

5.3 Spätbarocke Literatur:

Für die Literatur des Spätbarock kann man sich gut an den jeweiligen nationalen Stilen bzw. den verschiedenen Schwerpunkten der jeweiligen Musik orientieren.           

So sind Instrumente aus der englischen Bauschule wie etwa von Bressan besonders geeignet für Musik, bei der klangliche Subtilität im Vordergrund steht und farbliche Differenzierungen besonders gefragt sind.

Man denkt hier sofort an Händels Blockflötenmusik, aber natürlich auch an die gesamte französische Literatur.

Schlankere Instrumente, wie wir sie aus Nürnberg, etwa von Denner her, kennen, eignen sich vor allem für Literatur, bei der Tempo, Brillanz und Virtuosität im Vordergrund stehen und man auf sehr schnell und wendig   reagierende Instrumente angewiesen ist.

Telemanns Blockflötenwerk ist ohne Dennersche Blockflöten kaum zu denken, auch die italienische Literatur der Zeit ist auf diesen Instrumenten "zuhause". Zwar mag man einwenden, dass vor allem Corellis Werke auch und   gerade in London verlegt wurden, und natürlich ist es "historisch richtig", "La Follia" auf einem Instrument nach Bressan zu spielen. Jedoch gilt auch hier, dass man einfach selbst entscheiden möge, welcher Typus die Musik am besten zum klingen bringt und das ideale Werkzeug in den Händen des Spielers darstellt.

Denn letzten Endes sind Musikinstrumente auch kein Selbstzweck, sondern immer Werkzeuge zum Gebrauch durch den Spieler.